Neurodermitis kratzt auch an der Psyche
von Psychologin Mag. Doris Wolf
Die körperlichen Beschwerden bei Neurodermitis beeinträchtigen immer auch das psychische Wohlbefinden. Umgekehrt wirken sich psychische Belastungen auch auf das Hautbild aus. Denn Haut und Seele stehen in enger Wechselwirkung – sie „reden“ ununterbrochen miteinander. Im übertragenen Sinn sitzen sie auf demselben Tandem.
Neurodermitis ist eine chronisch-entzündliche Hauterkrankung. Ab dem Zeitpunkt, an dem die Erkrankung auftritt, hängt sie wie ein Rucksack auf den Schultern. Dieser Rucksack bringt die Krankheitslast – die Belastungen durch die Erkrankung - zum Ausdruck. Das Gewicht des Rucksacks hängt einerseits vom Ausmaß der spürbaren Symptome ab, andererseits auch davon, wie sehr die Neurodermitis das Leben bzw. die Lebensqualität beeinträchtigt und wie Betroffene mit der Erkrankung umgehen.
Nähe-Distanz-Konflikt
Neurodermitis beginnt oftmals in früher Kindheit. Das natürliche Bedürfnis eines Kleinkindes ist es, sich an die Eltern zu kuscheln und Wärme sowie Nähe zu erleben. Doch wenn die Berührungen schmerzen oder jucken, kann das Kuscheln als unangenehme Sinneserfahrung wahrgenommen werden. Das kann zu einem sogenannten Nähe-Distanz-Konflikt führen. Es kommt vermehrt zur Ausschüttung von Stresshormonen, sowie einer verminderten Bildung des Bindungshormons Oxytocin. Oxytocin wirkt auch beruhigend und ist einerseits für die psychosoziale Entwicklung, anderseits für die Entwicklung eines widerstandsfähigen Nervensystems des Kindes enorm wichtig. Das ist mitunter der Grund, weshalb Patienten im Erwachsenenalter auch eine „dünnere Haut“ haben können, indem sie z.B. schneller gereizt oder empfindsamer sind.
Der eigene Körper als Feind
Negative Erfahrungen mit dem Körper können zu einem negativen Selbstbild führen. Wenn andere unpassend auf entzündete Hautstellen reagieren, können auch Schamgefühle die Folge sein. Soziale Medien, die schöne Menschen mit makelloser Haut zeigen, können eine negative Haltung verstärken. Gedanken, nicht zu genügen, können sich ausbreiten. Daraus können die Angst vor Ablehnung, ja sogar sozialer Rückzug resultieren.
Aktiver Umgang mit Ängsten, Stress und Juckreiz
Es ist sehr wichtig, den eigenen Ängsten und Schamgefühlen aktiv zu begegnen sowie Stressquellen zu minimieren. Eine Reihe von Möglichkeiten steht Ihnen dabei zur Verfügung:
- Stress abbauen: Stress lässt sich in unserem Alltag nicht immer vermeiden. Es gilt, jene Stressoren einzubremsen, die vermeidbar sind. Denn Stress kann die Entzündung wie den Juckreiz triggern. Umso wichtiger ist es, sich auch mal „zurückzulehnen oder rauszunehmen“. Kleine Auszeiten gerade in stressigen Momenten können Abhilfe schaffen, wie z.B. der Lieblingsmusik zu lauschen. Mithilfe verschiedener Entspannungstechniken kann man das „Abschalten“ auch gut erlernen.
- Selbstakzeptanz und Selbstfürsorge lernen: Sich so zu akzeptieren, wie man gerade ist! Das ist nicht immer so einfach, bildet aber die Grundlage für eine bessere Beziehung zum eigenen Körper. Achtsamkeitsbasierte Methoden, die mithilfe psychologischer Unterstützung einfach erlernt werden können, fördern zudem die Selbstfürsorge. Ängste und Sorgen sollen vor dem Schlafengehen „verbannt“ werden, beispielsweise auf die Seiten eines Tagebuchs. Auch das bewusste Erinnern an schöne Erlebnisse, das „Ansehen innerer Bilder“ im Kopf, beispielsweise vom letzten Urlaub, können positive Emotionen fördern.
- Den Juckreiz kontrollieren: „Nicht kratzen“ ist leichter gesagt als getan. Es ist schwierig, dem Drang zu kratzen zu widerstehen. Durch das Kratzen verstärkt sich nicht nur die Entzündung, sondern auch der Juckreiz. Es gilt diesen Kreislauf mit einer wirksamen Behandlung zu durchbrechen. Dabei können psychologische Ansätze unterstützen: Beim „Habit-Reversal-Training“ (Gewohnheitsveränderung) erlernt man, den Juckreiz bewusst wahrzunehmen und zu stoppen – zum Beispiel durch kontroverse taktile Berührungen oder die Vorstellung, kühlendes Wasser über die juckende Stelle laufen zu lassen. Durchs Bewusstmachen unbewusster Stressoren sowie bewusste Aufmerksamkeitslenkung auf angenehme Dinge, kann Stress reduziert werden. Das bedarf natürlich der Übung. Bei akutem Juckreiz können Stressbälle oder Hand-Grip-Trainer beim Spannungsabbau helfen.
Vorsicht bei zwanghaftem Kratzverhalten! Bei häufigem, unkontrolliertem und unbewussten Kratzverhalten kann es sich um eine Zwangsstörung handeln (Skin Picking Disorder - zwanghafte Selbstschädigung der Haut). Dabei verspüren Patienten einen starken inneren Drang, ihre Haut zu kratzen. Folglich wird die Haut häufig blutig gekratzt und weiter geschädigt. In dieser Situation kann ein Hautarzt bzw. Psychologe dabei unterstützen, der Ursache auf den Grund zu gehen und eine Lösung zu finden!
Wann und wie Psychologen unterstützen können
Jeder Mensch kann im Leben an einen Punkt gelangen, an dem die professionelle Unterstützung eines Psychologen hilfreich ist oder sogar notwendig wird, wie beispielsweise bei starken Belastungen durch die Erkrankung, großen Ängsten, Schamgefühlen oder Minderwertigkeitsgefühlen sowie Depressionen.
In der ersten Sitzung geht es meistens um Entlastungsgespräche. Alles, was sich aufgestaut hat, muss einmal „von der Seele geredet“ werden. Gemeinsam werden gesundheitsschädliche Gedanken, Sorgen und Ängste identifiziert und bearbeitet wie z.B. Schamgefühle oder die Angst vor Ablehnung. So werden z.B. Belastungsherde mittels Stress-Tagebuch identifiziert. Ebenso können Entspannungsmethoden erlernt werden, die den individuellen Bedürfnissen entsprechen. Denn jeder Mensch entspannt anders! Durch die Unterstützung eines Psychologen erhält der Patient Hilfe zur Selbsthilfe und erlernt einen besseren Umgang mit der Erkrankung – für mehr Wohlbefinden und Lebensqualität.
Liste der Psychologen: https://www.boep.or.at/download/60d077393c15c8023e00000a/Atopische_Dermatitis_2021_05.pdf
Autorin: Psychologin Mag. Doris Wolf ist Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin. Die Grazerin unterstützt Menschen mit chronischen Erkrankungen und psychischen Belastungen sowie deren Auswirkungen. Mit gesundheitsfördernden Maßnahmen unterstützt sie Patienten bei der Krankheitsbewältigung, in Zeiten von Schüben, in schwierigen Lebenssituationen sowie beim Erlernen von Methoden zum effektiven Entspannungs-, Schmerz- oder Stressmanagement.
Stand der Information: 14. März 2023