Neurodermitis ist heutzutage wirksam behandelbar. Doch was können Patienten konkret erwarten?

Neurodermitis zählt zu den häufigsten Hauterkrankungen, die Kinder, aber auch viele Erwachsene betrifft. Die gute Nachricht: Je nach Erkrankungsverlauf stehen heutzutage unterschiedliche Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Wie Erwachsene mit quälendem Juckreiz und ausgeprägten Ekzemen zur richtigen Therapien finden, erklärt Dr. Urban Cerpes im Interview.

Als langjähriger Hautarzt an der MedUni Graz haben Sie viele Neurodermitis Patienten betreut. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Dr. Cerpes: An der MedUni Graz habe ich Patienten betreut, die schon sehr viele Jahre mit Neurodermitis leben und häufig schwer betroffen waren. Diese Patienten kennen den hohen Leidensdruck, da es viele Jahre keine adäquaten Behandlungsmöglichkeiten gab. Erfreulicherweise hat die Forschung & Entwicklung in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht und es stehen heutzutage moderne Medikamente zur Verfügung, mit denen die Erkrankung wirksam behandelt werden kann.

An der MedUni in Graz hatte ich die Zeit, um mit Patienten über die unterschiedlichen Therapiemöglichkeiten ausführlich zu sprechen. Der erste Behandlungsschritt ist die Verwendung von Kortisonsalben, diese sind jedoch bei Patienten mit mittelschwerem oder schwerem Verlauf oft nicht ausreichend wirksam und bei diesen Patienten empfehle ich neue, gezielt wirksame Medikamente wie Biologika, die als Spritze verabreicht werden oder sogenannte Januskinase-Hemmer, die als Tablette eingenommen werden. Bei beiden Therapieformen handelt es sich um Dauertherapien, die über einen längeren Zeitraum anzuwenden sind.

Wie können Patienten mit ihren Ärzten gemeinsam zur richtigen Therapie finden?

Dr. Cerpes: Bei der Therapiewahl spreche ich mit den Patienten über die Vor- und Nachteile der jeweiligen Therapien. Für Patienten ist es wichtig, dass der Juckreiz, das schlimmste Symptom der Neurodermitis, rasch und gut behandelt wird. Moderne Medikamente können hier einen Unterschied machen: ich hatte Patienten, die zur Monatskontrolle kamen und eine 75% Verbesserung zeigten, was ich phänomenal fand. Was auch eine Rolle bei der Therapiefindung spielt, ist u.a. die Verabreichungsform: manche bevorzugen einmal täglich eine Tablette einzunehmen, die anderen finden es leichter sich in gewissen Zeitabständen eine Spritze zu verabreichen.

Wie gut verträglich sind moderne Medikamente? Was sollten Patienten wissen?

Dr. Cerpes: Es ist wichtig, über Risikofaktoren und Nebenwirkungen sachlich aufzuklären, um Verunsicherungen zu nehmen. Bei den Januskinase-Hemmern gab es zum Beispiel einen Rote-Hand-Brief der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA), der über neu aufgetretene Risiken und Maßnahmen zur Risikominimierung informierte. Demnach sind Patienten über 65 Jahre, die ein hohes Risiko z.B. für Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen aufweisen oder rauchen als Risikogruppe definiert. Das heißt, dass Januskinase-Hemmer hier mit Vorsicht anzuwenden sind. Allerdings sind die Daten, die zu dieser EMA-Empfehlung führten, in den richtigen Kontext zu setzen: Die Daten basierten nicht auf Studien zu Neurodermitis. Die Erkenntnisse erlangte man aus Studiendaten zu rheumatoider Arthritis bei älteren Patienten, die mindestens einen kardiovaskulären Risikofaktor hatten und ein erhöhtes Hintergrundrisiko für die genannten Erkrankungen aufwiesen. Viele Studiendaten zu Neurodermitis zeigen, dass die Patienten in der Regel jünger sind und weniger kardiovaskuläre Risikofaktoren aufzeigen. Wenn man sich an die EMA-Empfehlungen hält, ist die Therapie mit Januskinase-Hemmern aus meiner Erfahrung gut verträglich. Deshalb evaluiere ich mit meinen Patienten: Unter 65 Jahre? Rauchen Sie? Liegen bereits Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen vor? Wenn ja, gibt es Behandlungsalternativen. Andernfalls stehen alle Optionen offen. Die EMA hat hier klar vorgegeben, in welchen Fällen das Medikament sicher anwendbar ist und auf welche Risikozeichen man genau achten muss.

Eine ausgewogene Aufklärung über mögliche Therapieoptionen ist wichtig für die Therapiefindung. Was braucht es noch?

Dr. Cerpes: Ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Hautarzt! Um Vertrauen aufzubauen, braucht man eine gewisse Zeit und mehrere Gespräche. Offen zu sein, den Patienten zuhören, auf alle seine Fragen einzugehen – das empfinde ich als sehr wichtig.  Auch wenn die Zeit für das Patientengespräch begrenzt ist, höre ich aktiv zu, gehe auf die Bedürfnisse der Patienten ein und behandle nicht nach Schema F.

Gegenseitiges Vertrauen ist also grundlegend für die richtige Therapiefindung, aber auch für die Therapietreue oder Adhärenz genannt. Das heißt: Hält sich der Patient an die Erklärungen des Arztes? Nimmt er sein Medikament regelmäßig? Ein Arzneimittel kann nur dann wirken, wenn es im definierten Zeitabstand und in der festgelegten Dosis eingenommen wird – über einen längeren Zeitraum. Manchmal geben Patienten zu schnell auf. Sie denken, dass ein Medikament nicht oder unzureichend wirkt, z.B. während eines Schubes oder führen irrtümlicherweise andere Beschwerden als Nebenwirkung auf das Medikament zurück. Fragen oder Bedenken sollten Patienten immer mit ihrem Hautarzt abklären.

Wie können Patienten zum Behandlungserfolg beitragen?

Dr. Cerpes: Ein sehr zentraler Punkt: Die Therapie einnehmen und regelmäßig zur Kontrolle kommen! Für Dauertherapien braucht es Weiterverschreibungen. Bei den Januskinase-Hemmern werden zusätzlich Blutabnahmen zur Kontrolle durchgeführt. Zudem bespreche ich mit Patienten, ob die Therapie funktioniert und kläre offene Fragen.

Neurodermitis ist eine chronische Erkrankung, die ein langfristiges Therapiemanagement benötigt. Wichtig zu wissen: Auch unter einer modernen Dauertherapie kann es zu Schüben kommen, etwa bei Stress. In diesem Fall sollten Patienten ihren Hautarzt aufsuchen. Um über den Schub zukommen, kann man zum Beispiel neben der Dauertherapie eine zusätzliche Kortisonsalbe verwenden. Unter Biologika bzw. Januskinase-Hemmern sollte ein Schub jedenfalls deutlich seltener, kürzer und schwächer auftreten. Das berichten auch Patienten in der Praxis.

Zusammengefasst: Was können Patienten mit ausgeprägten Beschwerden heutzutage von einer modernen Therapie erwarten?

Dr. Cerpes: Eine Linderung des Juckreizes, weniger entzündete Hautstellen, ein schöneres Hautbild – das liegt heute im Bereich des Möglichen mit modernen Therapien. Ich gebe dabei meinen Patienten einen Überblick über die aktuelle Datenlage zur besseren Einschätzung, wie etwa: Studien zeigen eine 75% bis zu 90% Verbesserung des Hautzustandes innerhalb weniger Wochen bis Monate und einen deutlichen Anstieg der Lebensqualität bei vielen Patienten, unter anderem durch Verbesserung des Juckreizes und der Schlafqualität. Die wissenschaftlichen Datenlage – einfach und patientengerecht erklärt – hilft dabei, eine realistische Erwartungshaltung zu setzen.


 

Dr. Urban Cerpes ist Hautarzt mit einer Kassenordination in Leibnitz. Zuvor war er an der Abteilung für Dermatologie und Venerologie an der Medizinischen Universität Graz tätig. Zu seinen Schwerpunkten zählen u.a. die Behandlung von chronisch-entzündlichen Hauterkrankungen wie Neurodermitis.